Ein Schiff soll nicht im Hafen liegen.
Martina Gebhardt vertreibt Naturkosmetik, seit über 30 Jahren schon, dann dachte sie sich: Öfter mal was Neues! — und kaufte das Kloster Wessobrunn.
In der Region Oberbayerns, die Pfaffenwinkel heißt, jagt ein seit Tagen anhaltender Schneewind über Hügel und Täler, Menschen und Tiere hinweg. Im Zeitlupentempo mühen Autos sich, den weißen Vorhang im Landkreis Schongau-Weilheim zu durchdringen. Es war im 18. Jahrhundert, als der Raistinger Dorfpfarrer Franz Sales Gailer der Region den auf den eigenen Beruf hinweisenden Namen verpasste, weil sich in keiner Gegend Deutschlands so viele Klöster und Wallfahrtskirchen über das Irdische zu erheben suchen. Im Pfaffenwinkel steht auch das Wessobrunner Kloster, das sich, gewissermaßen als Antithese zum geltungsbedürftigen, auf einem von weitem sichtbaren Hügel thronenden Kloster Andechs, eher bescheiden hinter einer Anhöhe verbirgt. Das Kloster ist berühmt für das »Wessobrunner Gebet«, ein Schöpfungsgedicht, das zu den ältesten poetischen Zeugnissen altdeutscher Sprache zählt, und auch für die Wessobrunner Schule, die seit dem 17. Jahrhundert bedeutende Stuckateure hervorgebracht hat, darunter die Brüder Johan Baptist und Dominikus Zimmermann. Nach 12 Jahrhunderten des Arbeitens und des Betens, nach vielen Epochen, Umbrüchen und Wendungen ist irgendwann die Zeit ohne das Kloster davongelaufen; die letzten noch verbliebenen zwölf Missions-Benediktinerinnen von Tutzing verließen Ende 2012 das U-förmige Riesengemäuer – wirtschaftlich war es nicht mehr tragbar. Weder der Staat noch die zuständige Diözese Augsburg wollten es kaufen. Eine Akademie für Stuckateure und Kirchenmaler sowie eine Klinik für psychosomatische Krankheiten waren als Interessenten im Gespräch, wollten das ganze Terrain. Ein Teil der Klosteranlage jedoch gehört der Pfarrgemeinde, die sich sträubte, und so kam, außer dass monatelang gestritten wurde, nichts dabei heraus. Die Sorge der Schwestern, dass irgendein ausländischer Investor oder gar eine Sekte sich des Klosters bemächtigen könnten, wurde plötzlich von einer Frau aus der Nachbarschaft durchkreuzt: Sie kam, sah und kriegte, was sie wollte. Die Architektin und Bio-Pionierin Martina Gebhardt, 55, leitet ihre gleichnamige Naturkosmetikfirma im sieben Kilometer entfernten Pessenhausen bei Rott und war den Schwestern längst ein Begriff. Dabei hatte sie nur durch Zufall von dem Verkauf erfahren; Gebhardt lebte in den zehn Jahren vorher auf einer Farm in Utah, arbeitete dort als Architektin und kam nur einige Male im Jahr für kurze Zeit nach Deutschland. Sie fuhr nach Wessobrunn mit einem Exposé und jeder Menge Überzeugungskraft im Gepäck und ließ das Kloster schätzen. Doch wonach bemisst sich der Wert eines solchen Hauses? »Man kann alles hin und her rechnen und umwälzen im Kopf. Aber ich bin immer anders vorgegangen: Der Mensch muss eine Absicht haben, der gibt er Aufmerksamkeit, und dann zieht er das an, was er gerade für seine Lebensreise braucht – die richtigen Menschen zum Beispiel. Man darf bloß keine Angst bekommen, es lieber Gottvertrauen oder Vertrauen ins Leben nennen.« Ende Mai 2014 unterzeichneten die Priorin der Missions-Benediktinerinnen von Tutzing, Schwester Hildegard Jansing, und Martina Gebhardt die Verträge – über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Nur so viel ist bekannt: Allein die Instandhaltungskosten des Gemäuers liegen im Jahr bei etwa 50 000 bis 60 000 Euro. Ist das nicht eine Art Himmelsfahrtskommando, Frau Gebhardt? »Im Leben kann man immer Schiffbruch erleiden, ein Schiff ist ja nicht gebaut, um im Hafen zu liegen. Man sollte sich nicht in das Gefängnis der Sicherheit begeben.« An ihren Wahlspruch hat die neue Besitzerin sich gehalten. Veröffentlicht am 16. Februar 2015 von Brigitte Haertel