Naturkosmetik aus dem Kloster
Martina Gebhardt hat das Kloster Wessobrunn gekauft– und produziert in Zukunft zwischen barockem Stuck und mittelalterlichen Kreuzgewölben.
// Schrot & Korn
Das Klingeln hört gar nicht mehr auf. Wer einmal auf den Knopf neben der Eingangstür des Klosters gedrückt hat, hört es durch die langen Gänge bis in die entferntesten Räume hallen. Es klingelt in den ehemaligen Zellen der Ordensschwestern, in den neu eingerichteten Büros des Seitenflügels, in den Aufenthalts- und Seminarräumen. Beharrlich, geduldig, minutenlang. Genug Zeit, um die Wildblumen zu betrachten, die ungehindert vor dem Eingang blühen. Genug Zeit, um sich zu dem romanischen Glockenturm umzuwenden, der nach dem Abriss der dazugehörigen Kirche nun ganz für sich steht – ein einsamer Gruß aus dem 12. Jahrhundert. Zeit, was ist das schon an einem solchen Ort?
Guter Geist in alten Mauern Dass das Kloster zum Verkauf stand, erfuhr die 55-Jährige durch Zufall. Dabei liegt es nur wenige Kilometer von der bisherigen Firmenadresse entfernt, ganz in der Nähe des bayerischen Ammersees. Ideale Voraussetzungen also, auch für die Schwestern, die „ihr“ Kloster bei Martina Gebhardt in guten Händen wissen. Sie leben mittlerweile alle wieder im Tutzinger Mutterhaus des Ordens und kommen öfter mal zu Besuch, um sich mit Martina Gebhardt über Heilkräuter auszutauschen. Ihr großer Wunsch: Das Kloster sollte ein Ort bleiben, wo nach ihren Worten „Menschen gerne arbeiten und leben und weiterhin das finden, was Leben lebenswert macht: Stärkung und Erholung für Leib und Seele.“ Auch die „spirituelle Kraft des Ortes“ wollten sie genutzt sehen, ein Punkt, der Martina Gebhardt besonders am Herzen liegt. „Ich habe das Gefühl, dass die Jahrhunderte voller guter Gedanken und Gebete sich irgendwie in den Mauern niedergeschlagen haben und die Atmosphäre dieses Ortes beeinflussen, ganz anders, als wären wir hier zum Beispiel in einer Burg, in der gekämpft wurde.“Martina Gebhardt hat im Lauf der Jahre gelernt, sich neben harten Fakten auch auf ihre Intuition zu verlassen, denn sie pflegt eine echte Doppelbegabung: neben ihren Naturkosmetik- Unternehmen spielt auch die Architektur in ihrem Leben eine große Rolle. Schließlich dienten Herstellung und Verkauf ihrer ersten Cremes dazu, sich das Studium zu verdienen. “Architektur – das passt auf den ersten Blick gar nicht zur Kosmetik – oder?“, fragt sie und lächelt vergnügt. „Aber auf beiden Gebieten bin ich eigentlich für die ‚Haut‘ zuständig, in der Kosmetik und bei einem Haus.“ Das eigentlich Wichtige an der „Haut“ ist ihr jedoch der Raum, den sie umschließt: „Ich möchte Räume öffnen, Türen aufschließen, andere Zugänge finden, Freiraum schaffen für Leben, Bewegung, Schönheit“, erklärt sie. Die 55-Jährige, die ihre Zeit in den vergangenen 10 Jahren zwischen Aufenthalten in den USA und Deutschland aufgeteilt hat, fühlt sich wohl im Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Aufgaben in ihrem Leben: „Dualität schafft Raum, und den muss man sich ganz bewusst freihalten, um kreativ sein zu können“ erklärt sie und erzählt, wie sie einsam durch das leere Gebäude gewandert ist, um „zu spüren, was war, zu akzeptieren, was ist, und zu erträumen, was sein wird.“ Das Konzept steht: Eine sanfte Renovierung soll es werden, langsam und in einzelnen Etappen, auch wenn zunächst einmal der Brandschutz drängt. Geplanter Zeitrahmen: 4-5 Jahre, in denen sie verstärkt vor Ort aufhalten wird, denn „Klöster sind keine Orte der schnellen Übergänge“. Ein Ort des „Happy-Aging“
Neben dem Einzug der Firma soll das Kloster auch Heimat für Künstler und nachhaltige Handwerker bieten. Ein kleines Spa ist ebenfalls geplant, als Refugium, in dem nicht nur die äußere, sondern vor allem die innere Schönheit der Gäste zählt: „Schönheit ist das, was von innen nach außen strahlt. Und sie braucht Raum“, erklärt Martina Gebhardt. „Nur dann wird jede Kreation lebendig. Bei der Kosmetik ist es genau das gleiche: Auch wir wirken anders, wenn wir den Raum haben, so zu sein, wie wir sind. Das Kloster soll ein Ort des Happy Aging werden, nicht des Anti-Aging. Warum sollen wir immer das wiederholen, was vorher gewesen ist und uns krampfhaft an unserer Jugend festhalten, statt mit dem zu arbeiten, was wir jetzt gerade haben? “ Martina Gebhardt jedenfalls strahlt. Sie hat ihren Raum gefunden. Und der reicht von den barocken Ornamenten im oberen Stockwerk bis zu den schlichten Kreuzgewölben der Wirtschaftsräume. An die 1000 Schlüssel zu Zimmern, Schränken, Kisten und Kästchen hat sie von den Schwestern übernommen. Und jede Ecke erzählt eine Geschichte. Wie die Stuckverzierungen, die für die Blütezeit des Klosters im 17./18. Jahrhundert stehen, als Wessobrunn das bedeutendste Stuckatorenzentrum Europas war. 16 000 Besucher jährlich bringen sie in den kleinen Ort – sie werden auch in Zukunft die Möglichkeit zur Besichtigung haben.
Zwischen Stuck und Stein
Noch mehr freut sich Martina Gebhardt jedoch über die in geometrischen Mustern gelegten Natursteinböden aus Solnhofener Kalkstein. Kaum vorstellbar, wie viele Füße sie im Laufe der Jahrhunderte so blank poliert haben… Einige von ihnen sind Schätze, die erst nach der Entfernung alter Teppichböden wieder aufgetaucht sind – die pragmatischen Schwestern deckten sie einfach ab, wenn sie Krankenzimmer oder neue Aufenthaltsräume brauchten. So kann es durchaus sein, dass mitten durch einen der kunstvoll gestalteten Räume eine Trennwand gezogen wurde, um zum Beispiel Platz für eine Küche zu schaffen. Was für ein Bild: Praktische Schränke aus den 60er-Jahren, überspannt von einer nur noch halb zu sehenden, barocken Stuckdecke… Weiter geht es in die Klosterküche und das Refektorium. Hier sind die Wände „ungeschminkt“ – von der Pracht der oberen Geschosse ist nichts mehr zu spüren. Dafür umso mehr Leben. Mittelpunkt ist ein Herd, so groß wie ein Doppelbett. Daneben eine voll funktionsfähige Backstube, riesige Schubladen mit der Aufschrift „Roggenmehl“ oder „Weizenmehl“ zeugen von der Zeit, in der von hier aus noch zahlreiche Kranke und die Kinder des Kinderheims versorgt wurden. „Hier werde ich mich am liebsten aufhalten!“, schwärmt Martina Gebhardt, die in der Küche eine kleine Schauproduktion „zum Anfassen“ plant. Ende des Jahres soll der Firmen-Umzug abgeschlossen sein. Im Klostergarten und im Gewächshaus wachsen schon die ersten Demeter-zertifizierten Kräuter zusammen mit dem Wasser der artesischen Quellen auf dem Gelände werden sie sicher bald in neuen Produktlinien zu finden sein. Ein Traum von diesen Quellen war es schließlich, der Herzog Tassilo III. der Legende nach vor über 1200 Jahren zur Gründung des Klosters veranlasst hat. Zeit, was ist das schon an einem solchen Ort? Die Quellen sprudeln immer noch. Und Martina Gebhardt wird mit ihren Visionen die Entwicklung weitertragen.
Schrot & Korn, Veröffentlicht März 2015 von Sabine Kumm